Jens Kerbel

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Grigori Frid

  

DAS TAGEBUCH DER ANNE FRANK 

 

Mono-Oper in vier Szenen

 

 

 © Stephan Walzl

 

 

"In 21 Episoden transportiert Regisseur Jens Kerbel sensibel echte Gefühle anstatt bloßer Betroffenheit.

Immer Spürbar: die Enge im Hinterhaus, die Ängste und das Hoffen eines Teenagers.

Theater, das zu Herzen geht." (BILD)

 

 

‚Das Tagebuch der Anne Frank‘ ist ein ergreifendes Dokument über das Schicksal einer von den Nationalsozialisten verfolgten Familie und der Sehnsucht einer sensiblen Jugendlichen nach einem normalen Leben jenseits des Terrors. Der russische Komponist Grigori Frid hat 21 Episoden aus dem Tagebuch als Libretto eingerichtet und vertont.
Frid konnte auf durchaus vergleichbare Erfahrungen zurückgreifen, als er 1968 Anne Franks Tagebuch zu einer Kammeroper für Sopran und Orchester verarbeitete. Seine Familie litt unter der Verfolgung Stalins und viele Mitglieder der Familie starben. Zudem erlebte Frid den Zweiten Weltkrieg als Sanitäter an der Front. Sein etwa einstündiges Werk wurde 1972 erstmals aufgeführt und 1999 mit verkleinerter Orchesterbesetzung überarbeitet. Die Oper besteht aus einer Folge kurzer Bilder, die auf subjektiv geprägten, inneren Episoden aus dem Tagebuch beruhen. Sie zeigen Annes Entwicklung vom Mädchen zur Frau, ihre Empathie gegenüber anderen, ihre Einsamkeit und Willenskraft. In Deutschland wurde seine berührende Kammeroper 1993 aufgeführt und hat sich seither wie nur wenige zeitgenössische Werke dieses Genres im Repertoire durchgesetzt.

 

Musikalische Leitung: Elias Corrinth

Inszenierung: Jens Kerbel

Ausstattung: Monika Annabel Zimmer

Licht: Mandy Schwimmer

Video: Marcel Franken

Dramaturgie: Steffi Turre

 

Mit: Anna Avakian - Gesa van der Linde, Lina Seifert

  

In Kooperation mit der Toneelacademie Maastricht

 

 

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PRESSE

  

NWZ, 12.04.2016

Und hört im Herzen auf zu sein

Jens Kerbel inszeniert „Das Tagebuch der Anne Frank“ in Oldenburger Exerzierhalle

 

Die Sopranistin Anna Avakian ist in der Rolle des jüdischen Mädchens zu sehen. Eine Stunde dauerte die Premiere, die großen Applaus erhielt.

Oldenburg In einem dunklen, fensterlosen Raum hämmert sie gegen die Wand, läuft von einer Ecke in die andere, die Mimik gehetzt, wie ein wilder Panther, gefangen in einem Käfig. „Als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt“, wie es im Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke heißt. Anna Avakian in ihrer Rolle als Anne Frank verkörpert ein lebensfrohes Mädchen, das in seiner Gefangenschaft, in seinem Versteck im Amsterdamer Hinterhaus, immer mehr verzweifelt.

 

„Ideale, schöne Träume, leuchtende Hoffnungen kommen nicht mehr bei uns auf, und wenn sie doch entstehen, so werden sie sofort zerstört von der fürchterlichen Wirklichkeit“, singt Avakian. Diese bittere Erkenntnis zieht sich in der Oldenburger Exerzierhalle durch alle 21 Episoden der Mono-Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“.

 

Pure Verzweiflung

 

Das deutsche Libretto von Grigori Frid nach den Tagebucheinträgen des jüdischen Mädchens, wird durch das Einblenden von Fotos der Familie Frank und Videosequenzen (Marcel Franken) zu einem multimedialen Bild. Ein Video zeigt beispielsweise Anne Frank (gespielt von Double Lina Seifert), als sie an ihrem Geburtstag ihr Tagebuch bekommt.

 

Die 26-jährige Sopranistin Anna Avakian schlüpft mühelos in die Rolle der Jugendlichen. Ihre oft barsch klingende Stimme passt zum rebellischen Charakter Annes. In den meisten Fällen ist ihr Gesang hart, manchmal fast schrill, pure Verzweiflung. Nur zu Beginn, als sie mit dem Tagebuchschreiben beginnt, und bei den Gedanken an Peter blitzen zärtliche Töne auf.

 

Die Mitglieder des Staatsorchesters unter der musikalischen Leitung von Elias Corrinth dienen als Abbild der Außenwelt. Fanfaren und Marschmusik zum gleichmäßigen Takt von Schlagzeuger Andreas Heuwagen bilden eindrücklich den militärisch-kriegerischen Aspekt ab. Klarinettist Jason Denner lässt zwischendurch auch hoffnungsvolle Passagen anklingen, wenn die junge Jüdin sich an den Gedanken an ein bevorstehendes Ende des Krieges klammert.

 

Immer in Gefahr

 

Die Figur der Anne Frank agiert in spartanisch eingerichteter Kulisse. Das Bühnenbild besteht aus einer Kleiderstange mit einem Kleid, einem Overheadprojektor, einem winzigen Kinderstuhl, einem großen Holzstuhl und einer Lampe (Bühne und Kostüme: Monika Annabel Zimmer). Aus einem wohlhabenden Leben in Freiheit gerät Anne in ein Vesteck, in dem acht Personen auf engstem Raum zusammengepfercht sind, immer in der Gefahr, entdeckt zu werden.

 

„Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille – und hört im Herzen auf zu sein“, schreibt Rilke. Anne Frank stirbt – „als eine von über sechs Millionen Juden“, wie ein eingeblendeter Schriftzug über der Bühne noch einmal in Erinnerung ruft – das Abschlussbild der einstündigen, sehr ernsten, ergreifenden Oper mit einer ausdrucksstarken Protagonistin. Im Anschluss, nach einem kurzen Moment der Stille, nicht enden wollender Beifall.

 

Von Anna Lisa Oehlmann

 

 

 

BILD, 11.04.2016

 

„Anne Frank“ in der Exerzierhalle

Das berühmte Tagebuch als Oper

Oldenburg – Das jüdische Mädchen Anne Frank († 1945) – ihr Schicksal bewegt noch heute die Welt. Zwei Jahre versteckt sich die Familie in Amsterdam vor den Nazis, bis sie verraten wird.

Anne vertraut im Hinterhaus ihre Gefühle und Träume ihrem Tagebuch an. Ein Vermächtnis. Dann wird das Versteck an die Nazis verraten. Im Alter von 15 Jahren wird Anne im KZ Bergen Belsen ermordet. Und wird zur Symbolfigur!

 

Mit einer Opern-Inszenierung gelingt dem Oldenburgischen Staatstheater in der Exerzierhalle ein berührender Abend. Zur sperrigen Musik von Grigori Fried gewährt Anne (Anna Avakian) vor einem Holzverschlag Einblicke in ihre Seele.

In 21 Episoden transportiert Regisseur Jens Kerbel sensibel echte Gefühle anstatt bloßer Betroffenheit. Immer spürbar: die Enge im Hinterhaus, die Ängste und das Hoffen eines Teenagers. Theater, das zu Herzen geht!

 

Von Corinna Laubach

 

 

Kreiszeitung, 11.04.2016

 

„Das Tagebuch der Anne Frank“ am Oldenburgischen Staatstheater

Wehe, wenn du hustest

Oldenburg -  Nicht laut lachen! Nicht husten! Nicht schnell laufen! Nicht mit dem Geschirr klappern! Wer in diesem Amsterdamer Hinterhaus lebt, muss vor allem eins: Regeln einhalten. Es gibt etliche davon, so viele, dass es gar nicht einfach ist, den Überblick zu behalten. Das ist lästig und hat doch nur einen Zweck – Leben zu retten. Verstößt auch nur einer der acht Menschen im Versteck gegen die Regeln, reißt er alle anderen mit in den Tod.

 

Sie ist das Symbol für die Toten des Holocaust. Gerade einmal 15 Jahre alt stirbt das jüdische Mädchen Anne Frank irgendwann im Frühjahr 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Wann genau, kann niemand sagen, kurz vor der Niederlage führt auch der penible Deutsche nicht mehr Buch – und von vielen seiner Opfer bleibt nicht viel mehr als ein Name und ein ungefähres Todesdatum. Nicht so bei Anne Frank. Sie führt seit ihrem 13. Geburtstag Tagebuch, notiert akribisch und für ihr Alter durchaus weise Beobachtungen, die sich nicht nur mit der beengten Welt im Versteck auseinandersetzen.

 

Ein Leben, mit dem der russische Komponist Grigori Frid einiges anfangen konnte, lebte er doch einige Zeit bei seinem in einem sibirischen Straflager internierten Vater. Verfolgung und Vernichtung, Lebenseinschnitte, die Frank und Frid gemeinsam haben. Aus dieser inneren Verbundenheit heraus entwickelte der Russe 1968 eine Mono-Oper mit 21 Szenen, die sich an den Essenzen des Tagebuchs abarbeitet und nur auf Anne konzentriert.

 

In der Exerzierhalle hat Monika Annabel Zimmer für Jens Kerbels Inszenierung von „Das Tagebuch der Anne Frank“ ihre ganz eigene Versteck-Version geschaffen – begrenzt durch eine recht niedrige Holztür. Wer sie passieren und auf den Rängen Platz nehmen möchte, muss sich ziemlich krumm machen oder stößt direkt mit dem Kopf an. Im Versteck selbst tut sich ein ziemlich karges Bühnenbild auf, das Teil von Zimmers Abschlussarbeit für das Masterstudium ist. Eine Reduzierung auf wenige Mittel, die die triste Stimmung des Amsterdamer Hinterhauses sehr realistisch zum Ausdruck bringt: Eine Holzwand mit Platz für Projektionen, zwei alte Holzstühle und ein paar Lampen, ein Kleiderständer, das war’s. Naja, nicht ganz. Am rechten Rand steht noch eine Videokamera, die Anna Avakian als Anne nutzt, um sich mitzuteilen.

 

„Das Tagebuch der Anne Frank“ ist bei Kerbel nicht nur Ikonenbildung, sondern auch ein wohl durchdachtes Konstrukt aus fast vergangenen und neuen Kommunikationswegen. Dieses ständige Hin- und Herspringen zwischen Nahaufnahmen und projizierten Bildern mag etwas willkürlich wirken, kommt dem sprunghaften Wesen eines Teenagers dann aber doch verblüffend nahe. Ganz zu schweigen von den zusätzlichen Innenansichten, die so eine weitere Ebene der Gefühlswelt Anne Franks freilegen.

 

Ein Innenleben, das Seite um Seite des Tagebuchs füllt und manches Mal erschreckend aktuell ist. So ist eingangs in an die Wand geworfenen Auszügen zu lesen: „Im Mensch ist nun mal der Drang zur Vernichtung“. Wer dieser Tage den Fernseher einschaltet, wird kaum widersprechen können. Offenbar hatte die von Anna Avakian irgendwo zwischen rotzigem Teenager und schwermütiger Denkerin angelegte Anne Frank fast schon hellseherische Fähigkeiten.

 

Avakian schafft es dabei mit ausdrucksstarkem Sopran, die Gefühlswelt Anne Franks spürbar zu machen – wenn man sie denn versteht. Denn ein ums andere Mal geht der Text in der Atonalität unter, was sich ja aber noch zurechtruckeln kann. Zumal die Sopranistin in den von Angst geprägten Momenten in ihrem Spiel besonders eindrücklich ist. So auch in der hochdramatischen Szene „Razzia“, in der die Familie aufzufliegen droht. Auf der unteren Ebene eines Rollwagens, die Oldenburger Version eines Schrankes, krümmt Avakian sich mit in Schockstarre weit aufgerissenen Augen zusammen – während die Gestapo schon vor der Tür steht. Momente, die besonders durch die Musik schwer erträglich sind. Grigori Frid ist es gelungen, das Schicksal Anne Franks allein durch die Melodien erlebbar zu machen.

 

Ausgehend von einem Donnerschlag und dem zentralen Motiv der Mono-Oper, vier Töne auf der Trompete, vermittelt er seiner Protagonistin mit aufstrebenden Tönen immer wieder das trügerische Gefühl von Sicherheit, nur um es weniger Takte später mit krachenden Dissonanzen wieder zunichte zu machen. Unter der Leitung von Elias Corrinth arbeiten die neun Musiker des Oldenburgischen Staatsorchesters diese Ambivalenzen wunderbar akzentuiert heraus, während das eigentlich aufmunternde Motiv immer wieder zum Vorschein kommt, auch in Momenten eskalierender Dramatik. Hier wabert die Panik zum Greifen dick durch den Raum – während von den Musikern hinter der Wand immer schnellere Zwölftonreihen zu hören sind.

 

Anne Franks Schicksal besticht in Oldenburg deshalb vor allem durch die fabelhafte orchestrale Leistung und die tief empfundene Würdigung eines jungen Mädchens, das trotz seines frühen Todes mehr sein würde als eine von über sechs Millionen.

 

Von Mareike Bannasch

 

 

 

NDR-Kultur, 11.04.2016

Anne Franks Tagebuch als Oper

Die heranwachsende Anne Frank, verfolgte Jüdin im Amsterdam der 40er-Jahre, führte mehr als zwei Jahre lang ihr Tagebuch, während sie sich mit sieben weiteren Juden im Hinterhaus eines Geschäftshauses versteckt hielt. Ihre Aufzeichnungen sind ein historisches Dokument und das Mädchen selbst, das schließlich doch im Alter von 15 Jahren im Konzentrationslager starb, wurde zur Symbolfigur. Eine bemerkenswerte künstlerische Umsetzung einiger ihrer Tagebuchtexte ist jetzt in einer Inszenierung am Oldenburgischen Staatstheater zu sehen: eine "Mono-Oper" des russischen Komponisten Grigori Frid.

 

Keine leicht zu konsumierende Oper

 

Leicht konsumierbar ist diese Musik nicht: Die zehn Instrumente des kleinen Orchesters und die einzige Singstimme erklingen oft dissonant, teils in Zwölftonreihen - das war in den 60er-Jahren, als das Werk entstand, die Tonsprache Frids.

Er nahm sich des Anne-Frank-Themas ganz gezielt und aus persönlichen Gründen an: Auch Frids Angehörige waren Opfer von Verfolgung und Mord - als Stalin in Russland regierte.

Die russische Sopranistin Anna Avakian stellt in der Oldenburger Inszenierung die Anne Frank dar - übrigens in deutscher Übersetzung. Die Beschränkung auf eine einzige Gesangsrolle bedeutet, dass die rund einstündige Oper ihre gesamte Dramatik ausschließlich aus der Gedankenwelt der Protagonistin bezieht: Der gesamte Text besteht aus Zitaten ihrer Tagebuchaufzeichnungen.

 

Für ein junges Publikum inszeniert

 

Jens Kerbel hat das Stück auf der kleinen Bühne der Exerzierhalle am Oldenburger Pferdemarkt inszeniert. Er lässt Anne Frank auf der ansonsten fast leeren Bühne mit Digitalkameras und riesigen Projektionen spielen. Außerdem tritt sie immer wieder in Kontakt mit einer stummen Figur: mit einer jüngeren, kindlichen Version von sich selbst. "Sie tritt auf wie ein Künstler, so hab ich sie immer gelesen in ihrem Tagebuch. Diese Künstlerin haben wir übersetzt in eine Performance-Künstlerin. Sie dokumentiert sich und die Umstände, mit denen sie kämpft", erklärt Jens Kerbel

Das dürfte besonders ein jugendliches Publikum ansprechen, meint Regisseur Kerbel: "Mir ist das wichtig, besonders ein junges Publikum anzusprechen. Das Tagebuch ist ja auch Stoff in Schulen und erlebt gerade eine Renaissance. Das Thema könnte nicht aktueller sein."

 

Große stimmliche Herausforderung

 

Die Sopranpartie ist extrem schwierig und eine große stimmliche Herausforderung, sagt der Regisseur. Manchmal gehen in der Tat die extremen Tonlagen auf Kosten der Textverständlichkeit. Das größtenteils nicht-jugendliche Premierenpublikum hatte damit aber offenbar kein Problem. "Es macht in erster Linie betroffen", meint ein Besucher. "Beklemmend auch und gerade die etwas puristische Ausgestaltung - das schärft die Sinne für den Inhalt." Und eine Besucherin findet: "Man konnte mitfühlen. Als das Stück zu Ende war, war ich sehr traurig. "

Die Musik spiegelt bei aller Sperrigkeit ein breites Spektrum von Emotionen einer Heranwachsenden in einer Extremsituation: Verzweiflung und Sehnsucht, aber auch zaghafte Lebensfreude. All das dürfte sich auch jungen Zuschauern mitteilen. Besonders für diese vornehmliche, aber keinesfalls einzige Zielgruppe hat das Oldenburgische Staatstheater übrigens einen Internet-Blog zu dem Stück eingerichtet.

 

Von Gerhardt Snitjer