Jens Kerbel

FOTOGALERIE

 

 

 

Greg MacArthur

 

SCHNEEMANN (DSE)

 

Deutsch von Frank Heibert

 

 

Foto: Thilo Beu

 

 

 

Denver und Marjorie ziehen so lange immer weiter nach Norden, bis sie nicht mehr umhinkommen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. In einem kleinen Kaff am Rande des ewigen Eises haben sie sich betulich eingerichtet, halten sich mit einem Videoverleih (Pornos und Horrorfilme unter der Ladentheke) über Wasser und verbringen zeitlos winterliche Tage mit dem ebenso schönen wie eigenbrötlerischen Teenager Jude. Als Jude eine Gletscherleiche entdeckt, geraten die Verhältnisse, die letztlich ohnehin nur aus Provisorien bestehen, ins Rutschen. Jude fühlt sich zu dem Jungen im Eis seltsam hingezogen und beansprucht ihn ganz für sich. Denver ruft schnurstracks die Archäologin Kim zur Hilfe und findet bei ihr mehr als nur fachmännischen Beistand. Marjorie hingegen fühlt sich durch die Ereignisse zunehmend in eine Welt der Untoten versetzt und ergreift eigene Maßnahmen, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

 

 

Inszenierung: Jens Kerbel

Bühne: Gesine Kuhn

Kostüme: Sigrid Trebing

Musik: Lars Figge

Video: Lars Figge/Jens Kerbel

Licht: Thomas Roscher

Dramaturgie: Barbara Damm

 

Mit: Nicole Kersten, Ninv V. Vodop'janova, Arne Lenk, Hendrik Richter

 

 

Premiere der deutschsprachigen Erstaufführung: Dezember 2006, Theater Bonn

 

 

 

 

 

PRESSE:

 

Kölnische Rundschau, 15.12.06

 

Magischer Sog des Nordens

 

„Schneemann“ von Greg MacArthur ist kein Krimi, dafür aber vielleicht der kanadischste unter den zeitgenössischen Stückimporten aus Kanada, die Bonns Schauspiel in dieser Saison auf die Werkstattbühne hinter dem Opernhaus holt.

 

Ein Stück weg vom Haus von Denver und Marjorie stehen Bäume. Dahinter beginnt das Eis, ein Gletscherfeld, in dem sich Jude tagelang herumtreibt. „Wahrscheinlich baut er Schneemänner, die uns überfallen“, amüsieren sich die beiden. Der junge Bursche stand eines Tages da, um einen Porno in ihrer Videothek auszuleihen. Und weil er kein Videogerät hat, sah er sich den Film gleich dort an. Doch statt der Schneemänner taucht eine schwarzgefrorene Kinderleiche im Eis auf.

 

„Schneemann“ von Greg MacArthur ist kein Krimi, dafür aber vielleicht der kanadischste unter den zeitgenössischen Stückimporten aus Kanada, die Bonns Schauspiel in dieser Saison auf die Werkstattbühne hinter dem Opernhaus holt. Der Autor, Direktor einer Bühne in Toronto, für die er an die 30 Stücke erarbeitete, hat sich des Mythos Kanada angenommen. Also denkt er sich frostige Tote aus. „Unterm Eis liegen bestimmt viele Leichen“, vermutet jemand etwas abwegig. Die Polizei untersucht. Auch die Archäologin Kim kommt extra aus der Stadt. Was MacArthur mit seiner Metapher artikuliert, ist das Trauma eines Landes, dessen Staatsgebiet das zweitgrößte der Welt ist, von dessen 10 Millionen Quadratkilometern aber nur ein ganz schmaler Streifen längs der 6500 Kilometer langen Grenze mit den USA bewohnt ist. Diesem Überschwappen von jenseits der Grenze steht der irreale Sog des Nordens gegenüber. Nur Schnee und Eis und feindliche Umwelt.

 

Aber Kanadier, die Kanada entfliehen wollen, zieht es dahin, auch Denver und Marjorie machen nur Station auf dem Weg - wie Jude, der Finder der Eisleiche. Jeder erhebt seinen Anspruch an sie, die für Mythos und Geschichte steht. Und Jude steigert sich so hinein, dass er fast jemanden umbringt. Jens Kerbel hat „Schneemann“ inszeniert und sich dabei getreu MacArthurs Anweisung jeglichen Bühnennaturalismus versagt.

Zwischen Elchen und Schnee-Eulen fristete in einem von Gesine Kuhns schon vertrauten Bühnenmodulen ein Kühlschrank sein paradoxes Dasein. Kerbel hat Lustiges, Tagträume, Irreales eingebaut. Für all das hatte er eine passende Besetzung. Hendrik Richter ist auf Typen wie Greg festgeschrieben. Nicole Kersten war Marjorie, als Jude profilierte sich Arne Lenk, und Nina Vodop yanova war die hübsche Archäologin, die sich von Greg angraben lässt. Amüsierter Beifall.

 

Von H.-D. Terschüren

   

 

 

Kritische Ausgabe, 4.1.2007 

 

Weiß wie Schnee, rot wie Blut

 

Deutschsprachige Erstaufführung von Greg MacArthurs »Schneemann« am Theater Bonn

 

Denver ist ein Aussteiger. Im Norden Kanadas, am Rande eines Gletschers mitten im Nirgendwo, betreibt er mit seiner Freundin Marjorie einen Videoladen. Ab und zu kommt der einsame, junge Jude vorbei, um sich mit ihnen Pornos anzusehen. Als Jude eines Tages eine Leiche im Eis findet und die attraktive Archäologin Kim anreist, wird die Monotonie ihres Alltags gestört.

 

Die Story klingt abgedreht und eher nach Kino. Regisseur Jens Kerbel greift die Horrorfilm-Elemente im Stück auf witzige Weise auf. So, wenn Marjorie Tomatensuppe vampirisch aus ihrem Mundwinkel laufen lässt, mit zombiehaft schleppender Stimme spricht oder wie in "Blair Witch Project" mit der Digital-Kamera ihr verheultes Gesicht in wackeliger Großaufnahme an die Wand projiziert. Die Leiche im Eis bekommt der Betrachter zwar nicht zu sehen – sie bleibt unheimlich unsichtbar, nur Auslöser der dramatischen Entwicklungen –, der Ekelfaktor kommt dennoch nicht zu kurz. So leckt sich Jude die mit Ketchup beschmierten Finger ab, nachdem er die erfrorenen Gliedmaßen des Toten mit einem Taschenmesser abgetrennt hat.

 

Was aber macht die Inszenierung zu etwas Besserem als einen live gespielten Trash-Film? Da wäre zunächst das stimmige Bühnenbild von Gesine Kuhn. Es versucht gar nicht erst, die kanadische Gletscherlandschaft auf der Werkstattbühne naturgetreu abzubilden. Von der Schönheit und der Gefahr der Natur sieht der Zuschauer nichts. Statt von Schnee sind Boden und Wände mit weißer Plastikfolie bedeckt. Darauf heben sich Ketchupflasche und Dosensuppe ab wie Blutflecken und sind doch nur Zivilisationsmüll. Einziger Einrichtungsgegenstand der Wohnung ist ein riesiger Kühlschrank voller Eisblöcke. Das Hirschgeweih an der Wand verschwimmt hinter Plexiglas. Heftig und ungestüm poltern die Personen über den Bühnenboden. Keine dämpfende Schneedecke schluckt die Geräusche.

 

Kälte und Weite spiegeln sich umso eindringlicher im Verhalten der Protagonisten. Die Figuren schwanken zwischen Coolness und emotionaler Vereisung. Ihre Aggression und Labilität liegen unter einer dünnen Eisschicht, stets bereit hervorzubrechen. Jude (Arne Lenk), der als Kind von seinen Eltern verlassen wurde, projiziert seine Gefühle auf den Toten. Denvers Versuch, ihn nach einer Nacht auf dem Gletscher mit seiner Körperwärme vor dem Erfrieren zu retten, wird zu einer absurden Nacktszene. Bei Nicole Kerstens Marjorie, die äußerlich wie starr gefroren scheint, liegen die Erinnerungen in ihrem Unbewussten wie unter hohem Schnee verborgen. Denver (Hendrik Richter), mit Bierdose und Pornobärtchen, gibt sich rotzig-herausfordernd und leidet doch unter der Entfremdung von seiner Frau. Ihre ewigen Missverständnisse werden von lauter Musik unterbrochen. Im Hintergrund dudelt der Fernseher.

 

Der weiße Bühnenraum dient auch als Projektionsfläche. So reden nicht nur die Personen aneinander vorbei, auch der Zuschauer wird über eine Vermittlungsebene angesprochen. Die Distanz lässt das Geschehen unwirklich erscheinen und hebt die Unmittelbarkeit der Bühne auf. Das Indirekte, Mediale verbindet Stück und Inszenierung. Das Stück hat nicht nur die Story eines Kinofilms, Regisseur Kerbel und Lars Figge verleihen ihm mit Audio- und Video-Elementen auch dessen Erzähltechniken. Es arbeitet mit Rückblenden und Verschiebungen und gewinnt so jenseits von Multi-Media-Spielerei eine weitere Dimension.

 

An einigen Stellen wird die Inszenierung bei aller Horrorfilm-Parodie wirklich düster. Das Motiv des Eindringens entfaltet sprachlich und bildlich eine große Kraft: Mit Judes Auftauchen im Leben von Greg und seiner Frau beginnt die Geschichte. Marjorie versucht verzweifelt zu den verdrängten Tiefen ihrer eigenen Seele vorzudringen und ritzt sich letztlich die Haut auf. Krätzemilben dringen in den Körper der Archäologin (Nina Vodop'yanova) ein, als diese die Beziehung des Paares stört. Jude wühlt sich ins Eis und verschwindet zuletzt in überzeugender Konsequenz der Inszenierung durch die Kühlschranktür. Aus dem empfindlichen Eindringen in soziale Beziehungen wird ein Forschen und Graben in den eigenen Gefühlen und schließlich ein körperlich zerstörendes Aufkratzen und Aufschlitzen.

Dennoch, diese verstörenden Momente sind selten: Die psychologischen Abgründe der Personen bleiben unplausibel. Die Hysterie um die Leiche wird nicht nachvollziehbar motiviert. Für eine glaubwürdige Aussage über soziale Kälte wirkt die Handlung zu konstruiert. Man wird den Eindruck nicht los, dass sich unter der coolen Oberfläche der gelungenen Inszenierung ein eher schwaches Stück verbirgt.

 

Von Annika Schank

 

 

 

kultur – Das Magazin, Februar 2007

 

Kälteschock

 

Schneemann von Greg MacArthur in der Werkstatt

 

Irgendwann sind sie an der Schneegrenze gelandet. In Kanada, dessen neue Dramatik in dieser Saison auf der Werkstattbühne vorgestellt wird. Nach den vertrackten Möglichen Welten von John Mighton folgt der Kälteschock mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Schneemann des jungen Shooting-Stars der kanadischen Szene Greg MacArthur. Der Bonner Nachwuchsregisseur Jens Kerbel hat das 2003 in Vancouver uraufgeführte Stück mit viel lakonischer Ironie und feinem Gespür für die Zwischentöne in dem merkwürdig undramatischen Text inszeniert. Es gibt wenig Dialoge zwischen den Figuren, die jedoch viel monologisieren über sich und ihre kleine Welt.
 

 

Irgendwann also wurden Denver und Marjorie, beide Mitte dreißig, ein Paar, zogen ziellos herum und landeten in einem Nest im hohen Norden am Rand eines Gletscherfeldes. Ein Videoverleih in der Wohnküche und Gelegenheitsjobs sichern den Lebensunterhalt. Hendrik Richter mit Ohrenfellmütze ist ein naiver, jungenhafter Denver, der sich mit Holzofen und Schneemobil und festgefrorenem Grinsen ganz bequem eingerichtet hat. Nicole Kersten in Fellstiefeln und Blümchenkleid oder weißem Cowgirl-Outfit (Kostüme: Sigrid Trebing) spielt eine seltsam immer knapp neben sich agierende Marjorie: eine einsame Träumerin, die sich mit Popcorn vollstopft und irgendetwas in sich sucht, als sei ihr Körper ein Ausgrabungsfeld. Für den jungen Einzelgänger Jude, dem früh die Eltern abhanden kamen, der scharf ist auf deutsche (tatsächlich im Originaltext!) Schwulenpornos und nebenbei auf Denver, entwickelt sie eine fast mütterliche Zuneigung. Arne Lenk - neu im Bonner Schauspiel-Ensemble - verkörpert dieses große kalte Kind, das im Gletscher plötzlich ein anderes findet, eine unter dem Eis konservierte Jungenleiche. Jude ist magisch angezogen von seinem geheimnisvollen Fund und will seinen „Schneemann” besitzen und beschützen: Der fremde Eisjunge ist Objekt der Identifikation und des erotischen Begehrens, sein fragiler, durchsichtiger Sarg dennoch ein unberührbarer, heiliger Ort, aus dem Judes Gesicht live per Video leuchtet.
 

Denver wittert schlicht eine archäologische Sensation und alarmiert die Außenwelt. Die Wissenschaftlerin Kim (Nina Vodop'yanova) fliegt ein, sieht aus wie eine Pop-Schneekönigin, treibt's mit Denver auf dem schmelzenden Eis über der Leiche und überlässt den Rest ihren Forscherkollegen. Viel bleibt denen jedoch nicht übrig. Die Jungs aus dem Dorf sind mit Schaufeln und Hacken auf ihren eigenen Horrortrip gegangen, Jude und der tote Junge aus dem Eis sind verschwunden.
 

MacArthur zitiert diverse B-Movies und Horrorklassiker. Kerbels Inszenierung setzt der Trash-Ästhetik eine groteske Künstlichkeit entgegen, zeigt weder Sex, Blut noch Moder, illustriert den Text nicht, sondern bewahrt seinen unterkühlten narrativen Duktus. Gesine Kuhn hat ihr schönes, transparentes Bühnenbild zu den „Möglichen Welten” mit glitzernder Folie auf dem Boden, Schnee-Eulen an der Wand, putzigem weißen Hirsch und schwarzen Blechtonnen verwandelt zu einer surrealistischen Eiswüste, in der die Gefühle komisch heißlaufen wie Elementarteilchen kurz vor dem Kältetod. Beziehungskiste aus dem Sehnsuchts-Gefrierfach. Der Autor zeigte sich bei der Premiere zu Recht sehr angetan von dieser intelligenten Aufführung und dem sehr guten Darstellerquartett.

 

Von Elisabeth Einecke-Klövekorn

 

 

 

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Lake and Mountains. CAMERA TRACKS FORWARD past island in
lake. 
                                                             DISSOLVE TO: 
EXT. ROAD - DAY - L.S.
High Angle V.W. Car moving along road - CAMERA TILTS UP with
it. 
                                                             CUT TO:  EXT. COLORADO MOUNTAINS & ROAD - DAY - L.S. 
Mountains and Road - V.W. Car moves away along road - CAMERA
TRACKS after it. 
                                                             CUT TO: 
L.S. V.W. Car moving away along road - CAMERA TRACKS after
it and passes car - TRACKING FORWARD to Mountains in b.g. 
                                                             CUT TO: 
M.L.S. High Angle V.W. Car moves away along road - CAMERA
TILTS UP with it. Car goes into tunnel and comes out other
side. CAMERA TRACKS after car. 
                                                             CUT TO:
L.S. V.W. Car moves along road. CAMERA TRACKS after it.
Mountains in b.g. 
                                                             CUT TO: 
L.S. High Angle V.W. Car moving away along road. Mountain
in b.g. CAMERA TRACKS after car. 
                                                             CUT TO: 
L.S. Mountain - CAMERA TRACKS IN on Hotel. 
                                                             CUT TO:
 Black Frames. 

(AUS: "Shining" - Drehbuch von Diane Johnson und Stanley Kubrick)